Remote Certification - Kernpunkte der rechtlichen Überlegungen
Ausgelöst insbesondere durch die Covid-19-Pandemie und durch verstärkte Tätigkeiten aus dem Homeoffice werden sachkundige Personen immer wieder mit der Frage konfrontiert, in welchem Ausmaß eine Chargenzertifizierung auch aus der Ferne durchgeführt werden kann. Dies zeigte sich auch an dem großen Interesse an der parallel stattfindenden Diskussionsrunde zu diesem Thema beim 19. Forum der Europäischen QP Association Ende 2024 in Amsterdam. Die Diskussionsrunde wurde von den Mitgliedern des EQPA Board Cheryl Chia und Ulrich Kissel moderiert.
Während der Pandemie konnte beobachtet werden, dass der Festlegung von aus der Ferne durchgeführten Verfahren eine größere Bedeutung beigemessen wurde, und dies galt auch für eine Remote Certification durch sachkundige Personen. Die Remote Certification wurde bereits vor der Pandemie in einigen Mitgliedstaaten der EU/des EWR praktiziert, aber während der Pandemie wurde sie in der gesamten EU/dem gesamten EWR zu einem gestatteten Verfahren. Nach der Pandemie gingen die Diskussionen weiter, ob dieses Verfahren für alle Mitgliedstaaten bestehen bleiben könne oder ob es durch harmonisierte oder durch nicht harmonisierte Voraussetzungen, die in jedem Mitgliedstaat unterschiedlich zu erfüllen wären, eingeschränkt werden würde. Als Antwort auf diese Diskussion veröffentlichte die Inspectors Working Group (IWG - Arbeitsgruppe der Inspektoren) ein Frage- und Antwortdokument, in dem eine Reihe von Voraussetzungen und angemessenen Instrumenten dargelegt werden, die der sachkundigen Person zur Verfügung stehen müssen, bevor sie eine Remote Certification vornehmen kann. Das Maß der Harmonisierung und deren uneingeschränkte Umsetzbarkeit wird unter den Vorbehalt der Genehmigung der zuständigen Behörde gestellt.
In der vorliegenden Abhandlung werden die Verfahren diskutiert, die seit der Veröffentlichung des Frage- und Antwortdokuments entstanden sind und insbesondere der Ansatz, der von einigen Mitgliedstaaten und sachkundigen Personen verfolgt wird, um eine Remote Certification zu akzeptieren und durchzuführen. Des Weiteren befasst sich die Abhandlung mit grenzüberschreitenden Szenarien der verschiedenen Mitgliedstaaten innerhalb der EU/des EWR.
Ist "Remote Certification" ein definierter Begriff?
Wir kennen nur die Definition von "Zertifizierung", wie sie im Anhang 16 gegeben wird. Laut dieser Definition ist "Zertifizierung" eine Zertifizierung in einem Register oder einem gleichwertigen Dokument durch eine sachkundige Person. Das Chargenzertifikat für ein Arzneimittel umfasst die Unterschrift der sachkundigen Person, die die Charge zertifiziert. "Remote Certification" ist nicht definiert.

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Stimmt das Frage- und Antwortdokument mit Anhang 16 zur Zertifizierung überein?
Das aktuelle Frage- und Antwortdokument führt eine andere Bedeutung von Zertifizierung ein, die die Bewertung einer Vielzahl von Daten umfasst, die verwaltet und mithilfe robuster IT-Instrumente für eine Bewertung aus der Ferne zur Verfügung stehen müssen, bevor - im Fall einer Remote Certification - die Unterschrift im elektronischen Register erfolgt. In dem Dokument wird die Zertifizierung als ein Prozess diskutiert und nicht als die (abschließende) Unterschrift auf dem Chargenzertifikat/im Register.
Verglichen mit der Definition aus Anhang 16 erweitert das Frage- und Antwortdokument den Begriff der "Zertifizierung" darum auf inkonsistente Weise. Erfolgt die Zertifizierung aus der Ferne, bezieht sie sich jetzt auf den Prozess der Bewertung von Daten, der außerhalb der Räumlichkeiten stattfindet, die durch die Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis gedeckt sind. Der Autor findet dies vollkommen passend, zieht jedoch die Schlussfolgerung, dass die Definition in Anhang 16 einer Überarbeitung bedarf, um den Prozess der Zertifizierung besser widerzuspiegeln, der mit der Unterzeichnung endet, statt die Definition ausschließlich auf die Unterschrift zu beschränken.
Wie ist das Frage- und Antwortdokument strukturiert?
Es gibt drei Fragen und Antworten zur Remote Certification. Im ersten Teil wird die allgemeine Möglichkeit einer Remote Certification unter der Voraussetzung zum Ausdruck gebracht, dass die zuständige Behörde einwilligt, im zweiten Teil wird der Schwerpunkt auf die Daten und die Datenverarbeitung mithilfe elektronischer Mittel gelegt, die für die Zertifizierung erforderlich sind, und im dritten Teil werden die Anforderungen für eine geeignete elektronische Signatur für die Zertifizierung detaillierter diskutiert. Obwohl sie anwendbar sind, wird auf die allgemeinen EU-Vorschriften zum Datenschutz und zur elektronischen Signatur, die für die EU/den EWR festgelegt wurden, dabei nicht Bezug genommen.
Ist es möglich, eine Remote Certification papierbasiert oder teilweise papierbasiert durchzuführen?
Laut dem Frage- und Antwortdokument ist keine papierbasierte Fernbewertung von Unterlagen möglich. Unvollständige GMP-Dokumente müssen fortlaufend unter GMP-Kontrolle gehalten werden und dürfen deshalb schon per Definition die durch GMP kontrollierten Räumlichkeiten des Inhabers der Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis nicht verlassen, was jede Form einer teilweisen oder vollkommen papierbasierten Fernbewertung ausschließt.

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Werden in dem Frage- und Antwortdokument territoriale Auswirkungen genannt?
Die erste Antwort enthält territoriale Überlegungen. Es sollte bei der für den Inhaber der Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis zuständigen Behörde eine Genehmigung eingeholt werden. Das Dokument enthält keine weitere Bezugnahme auf den Ort der Remote Certification. Es wird nicht auf die Richtlinie 2001/83/EG verwiesen, die aufgrund ihrer Anwendbarkeit auf das Gebiet der EU/des EWR die Einschränkung enthält, dass die Zertifizierung auf dem Boden der EU/des EWR erfolgen muss.
Was sollte als Ort der Remote Certification angesehen werden, wenn sich die sachkundige Person beispiels weise zu Hause befindet und folglich entfernt vom Inhaber der Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis?
Ist die Zertifizierung Teil der Herstellung?
Die Zertifizierung durch die sachkundige Person wird als teilweise Herstellung angesehen und kann nur in Verbindung mit einer geeignete Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis durchgeführt werden.
Kann die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats eine grenzüberschreitende Remote Certification genehmigen?
In Artikel 40 der Richtlinie 2001/83/EG ist Folgendes festgelegt: "Die Mitgliedstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit die Herstellung von Arzneimitteln auf ihrem Gebiet von einer Erlaubnis abhängig gemacht wird." Des Weiteren steht in Artikel 40: "Die Erlaubnis nach Absatz 1 ist sowohl für die vollständige oder teilweise Herstellung (...) erforderlich." Jede zuständige Behörde muss dies für ihr eigenes Gebiet gemäß ihren Befugnissen durch das nationale Arzneimittelrecht und in Übereinstimmung mit dem nationalen Arzneimittelrecht sicherstellen. Die Anwendbarkeit des nationalen Rechts und die Überwachung durch das nationale Recht enden an den Grenzen des jeweiligen Mitgliedstaats.
Muss für die Remote Certification stets eine Herstellungserlaubnis in dem Mitgliedstaat vorliegen, in dem die Remote Certification durchgeführt wird?
Solange die Zertifizierung durch eine sachkundige Person als teilweise Herstellung angesehen wird, sollte vor der Durchführung der Zertifizierung die Ausstellung einer nationalen Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis erforderlich sein. In Artikel 40 der Richtlinie 2001/83/EG werden einige Tätigkeiten aufgelistet, für die eine solche nationale Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis erforderlich ist. Diese Liste umfasst nicht die Zertifizierung durch eine sachkundige Person. Die nationalen Gesetze und die harmonisierte Vorlage für eine Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis sind spezifischer als dies in der Sammlung der Unionsverfahren niedergelegt ist. Die sachkundige Person muss stets die nationalen Anforderungen erfüllen. Eine auf die Zertifizierung beschränkte Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis besteht, eine grenzüberschreitende Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis jedoch nicht. Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist die Aufteilung der Überwachung durch die zuständige Behörde durch den Mitgliedstaat. Obwohl Fälle bekannt sind, in denen die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats eine Remote Certification aus dem gesamten EU-Gebiet/Gebiet des EWR im Rahmen ihrer nationalen Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis genehmigte, sollte eine solche umfassende Erlaubnis ohne die Einbeziehung der betroffenen zuständigen Behörden aller möglicherweise betroffenen Mitgliedstaaten nicht möglich sein. Jede in einem Mitgliedstaat durchgeführte Herstellungstätigkeit muss die anwendbaren nationalen Vorschriften und Genehmigungen einhalten, sodass die Genehmigung nur auf nationaler Basis erteilt werden kann.
Wie können wir nachweisen, dass die nationalen Behörden nur eine nationale Genehmigung für die Remote Certification erteilen sollten? Hierzu befindet sich nichts in dem Frage- und Antwortdokument.
Wenn der Grundsatz der nationalen Genehmigung im Fall der Remote Certification nicht anwendbar sein sollte, sollte auch das Gegenteil möglich sein. Jede zuständige Behörde eines benachbarten Landes sollte quid pro quo die Befugnis und die Möglichkeit haben, die Befähigung zur Zertifizierung und die Genehmigung zur Remote Certification jedes als sachkundige Person tätigen Kollegen im Ausland zu widerrufen. Dies ist möglicherweise nicht die Situation, die wir erwarten und die wir erleben möchten.
In anderen Bereichen des täglichen Lebens haben wir uns daran gewöhnt, uns an die vor Ort geltenden Vorschriften und Verordnungen zu halten, beispielsweise, wenn wir mit dem Auto durch Europa fahren. Niemand würde erwarten, dass die in seinem Heimatland geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen für ganz Europa gelten. Wenn Sie aus Irland kommen, werden Sie vermutlich nicht versuchen, in Kontinentaleuropa auf der linken Seite zu fahren. Dies gilt auch umgekehrt.
Müssen wir die lokale zuständige Behörde kontaktieren, bevor wir eine Zertifizierung ausführen, wenn wir eine Remote Certification außerhalb des Mitgliedstaats durchführen wollen, in dem unsere Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis erteilt wurde?
Jeder Mitgliedstaat muss sicherstellen, dass die Herstellung im Rahmen einer Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis und unter der Überwachung durch eine zuständige Behörde erfolgt. Genauso müssen die sachkundigen Personen gewährleisten, dass sie die vor Ort geltenden Gesetze und Vorschriften einhalten. Dies ist umso wichtiger als diese Vorschriften innerhalb Europas nicht vollumfänglich harmonisiert sind und auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden. Folglich muss mehr als eine zuständige Behörde um Genehmigung ersucht werden, wenn mehr als ein Mitgliedstaat betroffen sind.
Welche Risiken müssen von der sachkundigen Person, die die Remote Certification durchführt, beachtet werden?
Wenn die nationale zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem die Herstellungs- bzw. Einfuhrerlaubnis erteilt wurde, eine Remote Certification formal genehmigt hat, kann die sachkundige Person die in dem Frage- und Antwortdokument erteilten Empfehlungen genau befolgen. In dem Dokument werden nicht ausreichend und keine vollständigen Anforderungen im Fall eines in mehr als einem Mitgliedstaat durchgeführten Setups aus der Ferne genannt. Darüber hinaus werden die anzuwendenden Anforderungen in den nationalen Gesetzen niedergelegt und nicht in den GMP-Leitlinien, die auf unterschiedliche Art und Weise ausgelegt werden können. Die zuständige Behörde eines benachbarten Mitgliedstaats kann Sie nicht von der Befolgung der Gesetze des Landes, in dem Sie sich befinden, sowie von deren Umsetzung befreien, wenn sich diese von den Gesetzen des anderen Staates unterscheiden. Ausschließlich die sachkundige Person läuft Gefahr, nationale Gesetze zu verletzen, und von der sachkundigen Person kann erwartet werden, dass sie die Gesetze korrekt auslegt und diese befolgt.
Und welche Schlussfolgerungen gibt es?
Das Frage- und Antwortdokument ist uneinheitlich in seiner Anwendung der Definition von "Zertifizierung" und unvollständig hinsichtlich dessen, was im Fall eines in mehr als einem Mitgliedstaat durchgeführten Setups aus der Ferne erforderlich sein könnte. Das Dokument müsste diesbezüglich klargestellt werden. In Anhang 16 wird "Zertifizierung" teilweise unpraktisch und zu restriktiv definiert. Es käme der Definition von "Zertifizierung" zugute, wenn sie dem Ansatz folgen würde, der für die Remote Certification verwendet wird, um auch den Vorgang der Bewertung von Daten und Informationen abzudecken, damit das Chargenzertifikat/Register unterzeichnet werden kann. Es ist empfehlenswert, dass die sachkundige Person, die die Remote Certification durchführt, mit allen zuständigen Behörden interagiert, die in dem vorliegenden Setup zuständig sein könnten. Eine gelegentliche Remote Certification aus dem Urlaub ist weder ratsam noch sollte sie möglich sein, selbst wenn sie aus der EU/dem EWR heraus erfolgt. Die Umsetzung von Remote Certification in den Mitgliedstaaten bleibt aufgrund der Unschärfen nach wie vor uneinheitlich.
Über den Autor:
Dr. Ulrich Kissel
... ist Chairman des European QP Association Boards und Geschäftsführer der Kissel Pharma Consulting GmbH.